Das hier wird ein Blogpost im besten Sinne: Ich beginne sehr persönlich, bearbeite aber ein wichtiges fachliches Thema.
Ich muss nÀmlich zugeben: Ich bin irritiert. Immer wieder.
Wenn ich Websites von Akteur:innen aus Soziokultur, Jugendarbeit und Sozialer Arbeit besuche und dort auf Hinweise auf Twitter-Accounts und -posts treffe. Denn ich denke dann fĂŒr mich «das kann mensch heute doch nicht mehr machen!»
Und wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich nur sagen:
Liebe Kolleg:innen,
verlasst X aka Twitter sofort,
das ist kein Ort mehr fĂŒr Ăffentlichkeitsarbeit,
sondern stÀrkt nur noch rechte Netzwerke!
Aber eins nach dem anderen.
X/Twitter ist eine rechtsradikale Plattform geworden
Es ist breit darĂŒber berichtet worden, dass Elon Musk (im Folgenden «du-weisst-schon-wer») das damalige Twitter ĂŒbernommen hat. Ebenso, dass er auf einen Schlag einen Grossteil der Belegschaft entlassen hat, darunter insbesondere die Moderationsteams. Das war nur ein erster Schritt in einem breiten Umbau der Plattform, bei dem einerseits Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Nutzer:innen abgebaut wurden, andererseits gezielt problematische Inhalte gefördert wurden. Insbesondere hat du-weisst-schon-wer persönlich dafĂŒr gesorgt, dass zahlreiche zuvor wegen Hassrede gesperrte Accounts wieder reaktiviert wurden. WĂ€hrend Accounts zivilgesellschaftlicher Organisationen immer wieder gesperrt oder benachteiligt wurden.
(Eine gute Zusammenfassung findet sich bei netzpolitik.org.)
Dass du-weisst-schon-wer selbst Inhalte (darunter auch Falschinformationen) von ausgesprochenen Rechtsradikalen teilt und auch die Kampagne von Donald Trump unterstĂŒtzt, kann mensch noch als Privatsache abtun. Ein Grossteil der Massnahmen auf der Plattform stĂ€rken jedoch die Sichtbarkeit von extrem Rechten Akteur:innen und beschneiden (oder gefĂ€hrden gar) zivilgesellschaftliche Akteur:innen.
Dies hat unmittelbar die Inhalte auf der Plattform verÀndert, damit werden aber mittelbar extrem rechte Positionen auch in der Gesellschaft gestÀrkt. Eine PrÀsenz auf der Plattform stÀrkt damit rechtsradikale Akteur:innen. Entsprechend haben auch zahlreiche Einzelpersonen wie auch wichtige Organisationen die Plattform bereits verlassen.
Die Soziale Arbeit kann deswegen die Plattform nicht mehr zur Ăffentlichkeitsarbeit nutzen
Und ich bin der Auffassung, dass aus diesen GrĂŒnden fĂŒr Soziokultur und Soziale Arbeit eine PrĂ€senz auf der Plattform nicht mehr zu vertreten ist. Es sei denn, es geht explizit darum, eine Anlaufstelle fĂŒr Nutzer:innen zu sein (im Sinne einer aufsuchenden Arbeit), was aber meistens nicht der Fall ist.
Eine PrĂ€senz auf X aka Twitter schafft LegitimitĂ€t fĂŒr eine rechtsradikale Plattform und bietet nicht zuletzt Sichtbarkeit fĂŒr extreme rechte Positionen. Wer auf der Plattform prĂ€sent ist, stĂ€rkt Akteur:innen, die Menschenrechte relativieren möchten oder gar mit verschiedenen Formen von Gewalt gegen politische Gegner:innen vorgehen. Dass diesen Aspekten mit PrĂ€senz und AufklĂ€rungsarbeit entgegengetreten werden könnte, hat sich in den vergangenen Jahren als Illusion erwiesen, die eher rechte Diskurse befördert.
Und: Es gibt eine Alternative, die wir uns schon immer gewĂŒnscht haben
Dass Soziale Arbeit sich von der Plattform zurĂŒckzieht, ist mein wichtigstes Anliegen, aber wer möchte, kann gleichzeitig einen Schritt auf eine SocialMedia-Plattform wagen, die nicht nur eine gute Alternative zu X/Twitter ist, sondern so ist, wie wir uns Social Media schon immer gewĂŒnscht haben: Datensensibel, basisorientiert, dezentral, offen, ohne manipulative Techniken â also Social Media einfach nur zur sozialen Vernetzung!
Ich spreche von dem Fediverse, dessen bekanntester Vertreter Mastodon ist. Eigentlich alle Formen von SocialMedia-Plattformen haben eine entsprechende Alternative im Fediverse: Microblogging in der Form von X findet sich auf Mastodon, Pixelfed ist das Instagram des Fediverse, Peertube entspricht Youtube, Lemmy funktioniert wie Reddit. Das beste: Ich muss mich nur fĂŒr einen bevorzugten Dienst entscheiden, kann von dort aber allen Inhalten auf anderen Plattformen folgen und mit ihnen interagieren!
Und das allerbeste: Seit dem Niedergang von Twitter ist das keine Nerdveranstaltung mehr: Unglaublich viele Akteur:innen, einschliesslich Medien wie der Republik, der WOZ, ARD, ZDF und 3sat, Akteur:innen aus der Sozialen Arbeit sowie viele diverse Einzelaccounts (zB. Karpi) sind dort prĂ€sent und lassen kaum etwas zu wĂŒnschen ĂŒbrig. (Und, ganz nebenbei: Das Fediverse hat grössere Nutzer:innenzahlen als die oft gepriesene proprietĂ€re Alternative Bluesky.)
Nele Hirsch hat in ihrem Blog einige weitere Argumente fĂŒr die Plattformen aufgeschrieben.
Wie fange ich im Fediverse an?
Mastodon und Co sind zu Unrecht als «kompliziert» verschrien. Wer sich schonmal fĂŒr eine kostenlose eMail-Adresse registriert hat, d* findet sich auch im Fediverse zurecht:
- Es braucht einen Server, wo ich «zu Hause» sein möchte.
- Und ich muss mir einen Nutzer:inennnamen ausdenken.
Beim Server kann mensch sich an der Grösse orientieren und zu mastodon.social gehen, oder etwas lokales wÀhlen wie swiss.social, oder sich einen fachlichen Bezug suchen wie bildung.social. In diesem Artikel werden weitere Tipps und Anlaufstellen genannt. Und hier sind noch weitere Tipps zum Fediverse zu finden.
Ăbrigens: Der Radarstation, Norina und mir kann mensch auch im Fediverse folgen.
Auf dass die Welt auch auf Social Media eine bessere wird...! đ