Jugendliche und Digitalität: Einblicke in verschiedene Realitäten

Seit knapp einem Jahr arbeiten wir nun mit verschiedenen Beteiligten im Projekt e_space daran, Ansätze für Jugendarbeit in der Digitalität zu entwickeln. Auf bewährte Weise nehmen wir eine Sozialraumanalyse als Ausgangspunkt für konzeptionelle Entwicklungen. Was uns aber wichtig ist: Wir gehen davon aus, dass Sozialräume in der Digitalität von den Jugendlichen konstruiert werden und dabei eng mit Medien und Medienhandeln verschränkt sind.

Daher haben wir uns auch für eine nicht unbedingt klassische Methodik entschieden: In den fünf beteiligten Gemeinden haben die Jugendarbeiter:innen Jugendliche auf verschiedene Arten und Weisen ethnografisch in ihrem Alltag begleitet. Dazu gehörten Beobachtungen im öffentlichen Raum, im Zug, im Jugendtreff, persönliche Gespräche, gemeinsame «Exkursionen» mit den jungen Menschen in ihrer mediatisierten Lebenswelt etc.

Nach ca. einem halben Jahr haben die lokalen Teams im Frühjahr ihre Beobachtungen (auch unter Einbezug von Jugendlichen) systematisch ausgewertet und präsentiert. Die Ergebnisse sollen vor allem ein Ausgangspunkt für die lokalen Prozesse sein. Ich halte in diesem Blogbeitrag jedoch einige der Erkenntnisse aus den Präsentationen fest, weil sie aus meiner Sicht wichtige Impulse für die Jugendarbeit allgemein geben können:

Jugendliche möchten über Medien sprechen!

Ein einhelliger Eindruck aus allen fünf Gemeinden: Eigentliche alle beteiligten Jugendlichen haben sich ausserordentlich über das Interesse der Jugendarbeiter:innen an ihrer mediatisierten Lebenswelt, an ihrem Medienhandeln und ihren Erfahrungen gefreut. Das widerspricht aus meiner Sicht deutlich einer oft ausgesprochenen These von Jugendarbeiter:innen, dass Jugendliche nicht bedrängt sein wollten, dass das Nachfragen komisch sei etc.

Dabei geht es aber nicht nur um das pure Interesse: Die beteiligten Jugendlichen haben sehr den Austausch, das intensive und offene Reden über Medien «auf Augenhöhe» geschätzt. Denn – und das habe ich so noch nicht formuliert gehört: Es gibt zwischen Jugendlichen und Erwachsenen keine wirklichen Orte für offene (!) Gespräche über Medienhandeln. Die Erfahrung von Jugendlichen ist, dass Erwachsene viele Vorannahmen haben und meist irgendetwas bei Heranwachsenden erreichen oder bewirken wollen. Reines Interesse und Austausch auf Augenhöhe ist hier ein besonderes Angebot von Jugendarbeit.

Mehrere der beteiligten Jugendarbeiter:innen haben die Gespräche als zusätzliche und wertvolle Basis für die weitere Beziehungsarbeit wahrgenommen. Der Austausch über Medien und Medienhandeln gibt der Beziehung zu den Jugendlichen eine neue Dimension.

Jugendliche wünschen sich Präsenz von Erwachsenen in der Digitalität

Einer weiteren verbreiteten These unter Jugendarbeiter:innen wurde mehrfach widersprochen: Jugendliche wünschen sich nicht, an digitalen Orten immer «für sich» zu sein. Sie äussern in Gesprächen den deutlichen Wunsch einer Präsenz von Erwachsenen – im Sinne von Ansprechpersonen, von Unterstützung etc. In Diskussionen über Digitalität wird von Fachpersonen oft das Gegenteil behauptet: Dass es gut sei, dass Jugendliche an digitalen Orten unter sich seien, weil es ja sonst kaum noch Freiräume gebe.

Aus meiner Sicht ist beides auch nicht unbedingt ein Widerspruch: Denn es geht ja nicht darum, dass Jugendarbeiter:innen sich überall aufdrängen. Sondern gemeinsam mit Jugendlichen zu schauen, wo wie welche Präsenz wünschenswert ist. Im Sinne einer partizipativen Angebotsentwicklung.

Inwieweit sind erwachsene Positionen Projektionen?

Ein Jugendarbeiter hat nach den Gesprächen mit den Jugendlichen deutlich (sich selbst) die Frage gestellt, inwieweit die verbreiteten Annahmen von Erwachsenen zum Medienhandeln von Jugendlichen und deren Bedürfnissen denn eigentlich Projektionen sind. Für ihn hat sich die Frage zuerst angesichts Themen wie «Cybermobbing» oder «Mediensucht» aufgeworfen. Gerade die Eindrücke zu den beiden oben genannten Aspekten (Gespräche und Präsenz erwünscht) unterstreichen jedoch, wie wichtig für Fachpersonen die Reflexion der eigenen Haltung und der eigenen Vorannahmen sind. Und Gespräche mit Jugendlichen.