Das Ende von X aka Twitter – und der Anfang von Neuem

Das hier wird ein Blogpost im besten Sinne: Ich beginne sehr persönlich, bearbeite aber ein wichtiges fachliches Thema.

Ich muss nämlich zugeben: Ich bin irritiert. Immer wieder.
Wenn ich Websites von Akteur:innen aus Soziokultur, Jugendarbeit und Sozialer Arbeit besuche und dort auf Hinweise auf Twitter-Accounts und -posts treffe. Denn ich denke dann für mich «das kann mensch heute doch nicht mehr machen!»

Und wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich nur sagen:

Liebe Kolleg:innen,
verlasst X aka Twitter sofort,
das ist kein Ort mehr für Öffentlichkeitsarbeit,
sondern stärkt nur noch rechte Netzwerke!

Aber eins nach dem anderen.

X/Twitter ist eine rechtsradikale Plattform geworden

Es ist breit darüber berichtet worden, dass Elon Musk (im Folgenden «du-weisst-schon-wer») das damalige Twitter übernommen hat. Ebenso, dass er auf einen Schlag einen Grossteil der Belegschaft entlassen hat, darunter insbesondere die Moderationsteams. Das war nur ein erster Schritt in einem breiten Umbau der Plattform, bei dem einerseits Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Nutzer:innen abgebaut wurden, andererseits gezielt problematische Inhalte gefördert wurden. Insbesondere hat du-weisst-schon-wer persönlich dafür gesorgt, dass zahlreiche zuvor wegen Hassrede gesperrte Accounts wieder reaktiviert wurden. Während Accounts zivilgesellschaftlicher Organisationen immer wieder gesperrt oder benachteiligt wurden.

(Eine gute Zusammenfassung findet sich bei netzpolitik.org.)

Dass du-weisst-schon-wer selbst Inhalte (darunter auch Falschinformationen) von ausgesprochenen Rechtsradikalen teilt und auch die Kampagne von Donald Trump unterstützt, kann mensch noch als Privatsache abtun. Ein Grossteil der Massnahmen auf der Plattform stärken jedoch die Sichtbarkeit von extrem Rechten Akteur:innen und beschneiden (oder gefährden gar) zivilgesellschaftliche Akteur:innen.
Dies hat unmittelbar die Inhalte auf der Plattform verändert, damit werden aber mittelbar extrem rechte Positionen auch in der Gesellschaft gestärkt. Eine Präsenz auf der Plattform stärkt damit rechtsradikale Akteur:innen. Entsprechend haben auch zahlreiche Einzelpersonen wie auch wichtige Organisationen die Plattform bereits verlassen.

Die Soziale Arbeit kann deswegen die Plattform nicht mehr zur Öffentlichkeitsarbeit nutzen

Und ich bin der Auffassung, dass aus diesen Gründen für Soziokultur und Soziale Arbeit eine Präsenz auf der Plattform nicht mehr zu vertreten ist. Es sei denn, es geht explizit darum, eine Anlaufstelle für Nutzer:innen zu sein (im Sinne einer aufsuchenden Arbeit), was aber meistens nicht der Fall ist.

Eine Präsenz auf X aka Twitter schafft Legitimität für eine rechtsradikale Plattform und bietet nicht zuletzt Sichtbarkeit für extreme rechte Positionen. Wer auf der Plattform präsent ist, stärkt Akteur:innen, die Menschenrechte relativieren möchten oder gar mit verschiedenen Formen von Gewalt gegen politische Gegner:innen vorgehen. Dass diesen Aspekten mit Präsenz und Aufklärungsarbeit entgegengetreten werden könnte, hat sich in den vergangenen Jahren als Illusion erwiesen, die eher rechte Diskurse befördert.

Und: Es gibt eine Alternative, die wir uns schon immer gewünscht haben

Dass Soziale Arbeit sich von der Plattform zurückzieht, ist mein wichtigstes Anliegen, aber wer möchte, kann gleichzeitig einen Schritt auf eine SocialMedia-Plattform wagen, die nicht nur eine gute Alternative zu X/Twitter ist, sondern so ist, wie wir uns Social Media schon immer gewünscht haben: Datensensibel, basisorientiert, dezentral, offen, ohne manipulative Techniken – also Social Media einfach nur zur sozialen Vernetzung!

Ich spreche von dem Fediverse, dessen bekanntester Vertreter Mastodon ist. Eigentlich alle Formen von SocialMedia-Plattformen haben eine entsprechende Alternative im Fediverse: Microblogging in der Form von X findet sich auf Mastodon, Pixelfed ist das Instagram des Fediverse, Peertube entspricht Youtube, Lemmy funktioniert wie Reddit. Das beste: Ich muss mich nur für einen bevorzugten Dienst entscheiden, kann von dort aber allen Inhalten auf anderen Plattformen folgen und mit ihnen interagieren!

Und das allerbeste: Seit dem Niedergang von Twitter ist das keine Nerdveranstaltung mehr: Unglaublich viele Akteur:innen, einschliesslich Medien wie der Republik, der WOZ, ARD, ZDF und 3sat, Akteur:innen aus der Sozialen Arbeit sowie viele diverse Einzelaccounts (zB. Karpi) sind dort präsent und lassen kaum etwas zu wünschen übrig. (Und, ganz nebenbei: Das Fediverse hat grössere Nutzer:innenzahlen als die oft gepriesene proprietäre Alternative Bluesky.)

Nele Hirsch hat in ihrem Blog einige weitere Argumente für die Plattformen aufgeschrieben.

Wie fange ich im Fediverse an?

Mastodon und Co sind zu Unrecht als «kompliziert» verschrien. Wer sich schonmal für eine kostenlose eMail-Adresse registriert hat, d* findet sich auch im Fediverse zurecht:

  • Es braucht einen Server, wo ich «zu Hause» sein möchte.
  • Und ich muss mir einen Nutzer:inennnamen ausdenken.

Beim Server kann mensch sich an der Grösse orientieren und zu mastodon.social gehen, oder etwas lokales wählen wie swiss.social, oder sich einen fachlichen Bezug suchen wie bildung.social. In diesem Artikel werden weitere Tipps und Anlaufstellen genannt. Und hier sind noch weitere Tipps zum Fediverse zu finden.

Übrigens: Der Radarstation, Norina und mir kann mensch auch im Fediverse folgen.

 

Auf dass die Welt auch auf Social Media eine bessere wird...! 😉

Professionelle Haltung entwickeln zur Digitalität

Eine professionelle Haltung zu Digitalität ist – auch analog zum sonstigen Berufsalltag – zentral für Fachpersonen, um handlungsfähig zu sein in der Digitalität. Die Haltung gibt Orientierung und macht es möglich, verschiedene Perspektiven einzunehmen (vgl. Witzel 2019). In unserem Beitrag in SozialAktuell haben wir auch den Weg dorthin skizziert: individuelle Reflexion der eigenen Praxis, auch im Zusammenhang von Weiterbildungen und Tagungen, Austausch im Team, allenfalls Formulierung eines gemeinsamen Konzepts oder von Leitlinien.

Wie können diese einzelnen Schritte konkret aussehen? Hier Beispiele aus unserer Praxis und auch Materialempfehlungen:

Reflexion

Menschen sind Lebewesen mit je unterschiedlichen Bedürfnissen (etwa Sicherheit, Bewegung etc.) und so nähern sie sich auch sehr unterschiedlich der Digitalität (etwa mit Technikeuphorie oder -skepsis). Diese individuelle Herangehensweise kann bewusst gemacht werden, etwa im Rahmen einer Weiterbildung. In unserem Fachkurs >rdy. geschieht das mit Hilfe der Methode «Medienmensch»: Die Fachpersonen reflektieren die eigene Mediennutzung und die individuellen Gefühle in Bezug auf Medien und Medienphänomene mit der Metapher der Körperteile: Was bewegt mein Herz, was bereitet mir Bauchschmerzen, was regt mich zum Denken an? Diese Reflexion kann auch individuell erfolgen. Wichtig ist jedoch, mit anderen in Austausch zu treten und die unterschiedlichen Perspektiven (noch auf einer individuellen Ebene) offen und auch mit ihrem emotionalen Anteil jeweils wertschätzend wahrzunehmen.

Ein wertvolles psychologisches Modell, um sich unterschiedlichen individuellen Haltungen wertschätzend nähern zu können, ist das Modell der Persönlichkeits-System-Interaktionen (PSI-Modell). In diesem Video aus der Jugendhilfe wird dies sehr anschaulich dargestellt.

Austausch im Team

Besonders wenn sich ein Team auf den Weg macht, ist es sinnvoll, in einem zweiten Schritt die Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Dies kann mit einer Positionierungsübung bzw. einem Skalenspiel geschehen, um die einzelnen Positionen in Bezug zu setzen. Sowohl die Übereinstimmungen wie auch die unterschiedlichen Standpunkte können gewürdigt und sollten festgehalten werden. Sie sind der Ausgangspunkt für die Weiterarbeit als Team.

In einem nächsten Schritt können nämlich Positionen zu spezifischen Themen gemeinsam diskutiert werden (etwa «Wo sind die Grenzen unserer Erreichbarkeit?», «Welche Games dürfen bei uns gespielt werden, welche erlauben wir nicht?»). Hieraus können Schritt für Schritt Leitsätze stehen, die dann zu einer gemeinsamen Leitlinie zusammengefasst werden.

Haltung und Konzepte

Diese Haltungsdiskussionen, gemeinsamen Positionierungen und Leitsätze sind ein wichtiger Ausgangspunkt, um später allenfalls ein Konzept zu erstellen bzw. das bestehende Konzept unter dem Blickpunkt der Digitalität weiterzuentwickeln.

Hierbei ist es jedoch gut, im Blick zu behalten, das ein solches Konzept nicht nur inhaltliche Positionierungen beinhaltet. Wichtig ist es, in der Einrichtung insgesamt eine positive Kultur zu schaffen, die Mitarbeitende nicht unter (Innovations-)Druck setzt, nicht überlastet und das Gefühl schafft, aufgehoben zu sein. Damit rücken auch (technische, zeitliche) Ressourcen, Know-How und Unterstützung in den Blick. Auch dies sollte Teil des eigenen Konzeptes werden.

Denn – das ist eine wichtige Erkenntnis aus dem PSI-Modell – individuelle Haltungsänderungen sind möglich. Hierzu braucht es jedoch Sicherheit und gute Beziehungen – in einem gut aufgestellten Team und einem unterstützenden institutionellen Rahmen.

Literatur und Materialien

Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW (Hg.) (2021): Methodensammlung zur medienpädagogischen Haltungsentwicklung. Online verfügbar.

Stadt Wien – Bildung und Jugend (Hg.) (2021): Teamtool zur Reflexion Digitaler Kinder- und Jugendarbeit. Online verfügbar.

Witzel, M. (2019). Aneignung unter Bedingungen von Digitalisierung. sozialmagazin, (3), 6.

Jugendliche und Digitalität: Einblicke in verschiedene Realitäten

Seit knapp einem Jahr arbeiten wir nun mit verschiedenen Beteiligten im Projekt e_space daran, Ansätze für Jugendarbeit in der Digitalität zu entwickeln. Auf bewährte Weise nehmen wir eine Sozialraumanalyse als Ausgangspunkt für konzeptionelle Entwicklungen. Was uns aber wichtig ist: Wir gehen davon aus, dass Sozialräume in der Digitalität von den Jugendlichen konstruiert werden und dabei eng mit Medien und Medienhandeln verschränkt sind.

Daher haben wir uns auch für eine nicht unbedingt klassische Methodik entschieden: In den fünf beteiligten Gemeinden haben die Jugendarbeiter:innen Jugendliche auf verschiedene Arten und Weisen ethnografisch in ihrem Alltag begleitet. Dazu gehörten Beobachtungen im öffentlichen Raum, im Zug, im Jugendtreff, persönliche Gespräche, gemeinsame «Exkursionen» mit den jungen Menschen in ihrer mediatisierten Lebenswelt etc.

Nach ca. einem halben Jahr haben die lokalen Teams im Frühjahr ihre Beobachtungen (auch unter Einbezug von Jugendlichen) systematisch ausgewertet und präsentiert. Die Ergebnisse sollen vor allem ein Ausgangspunkt für die lokalen Prozesse sein. Ich halte in diesem Blogbeitrag jedoch einige der Erkenntnisse aus den Präsentationen fest, weil sie aus meiner Sicht wichtige Impulse für die Jugendarbeit allgemein geben können:

Jugendliche möchten über Medien sprechen!

Ein einhelliger Eindruck aus allen fünf Gemeinden: Eigentliche alle beteiligten Jugendlichen haben sich ausserordentlich über das Interesse der Jugendarbeiter:innen an ihrer mediatisierten Lebenswelt, an ihrem Medienhandeln und ihren Erfahrungen gefreut. Das widerspricht aus meiner Sicht deutlich einer oft ausgesprochenen These von Jugendarbeiter:innen, dass Jugendliche nicht bedrängt sein wollten, dass das Nachfragen komisch sei etc.

Dabei geht es aber nicht nur um das pure Interesse: Die beteiligten Jugendlichen haben sehr den Austausch, das intensive und offene Reden über Medien «auf Augenhöhe» geschätzt. Denn – und das habe ich so noch nicht formuliert gehört: Es gibt zwischen Jugendlichen und Erwachsenen keine wirklichen Orte für offene (!) Gespräche über Medienhandeln. Die Erfahrung von Jugendlichen ist, dass Erwachsene viele Vorannahmen haben und meist irgendetwas bei Heranwachsenden erreichen oder bewirken wollen. Reines Interesse und Austausch auf Augenhöhe ist hier ein besonderes Angebot von Jugendarbeit.

Mehrere der beteiligten Jugendarbeiter:innen haben die Gespräche als zusätzliche und wertvolle Basis für die weitere Beziehungsarbeit wahrgenommen. Der Austausch über Medien und Medienhandeln gibt der Beziehung zu den Jugendlichen eine neue Dimension.

Jugendliche wünschen sich Präsenz von Erwachsenen in der Digitalität

Einer weiteren verbreiteten These unter Jugendarbeiter:innen wurde mehrfach widersprochen: Jugendliche wünschen sich nicht, an digitalen Orten immer «für sich» zu sein. Sie äussern in Gesprächen den deutlichen Wunsch einer Präsenz von Erwachsenen – im Sinne von Ansprechpersonen, von Unterstützung etc. In Diskussionen über Digitalität wird von Fachpersonen oft das Gegenteil behauptet: Dass es gut sei, dass Jugendliche an digitalen Orten unter sich seien, weil es ja sonst kaum noch Freiräume gebe.

Aus meiner Sicht ist beides auch nicht unbedingt ein Widerspruch: Denn es geht ja nicht darum, dass Jugendarbeiter:innen sich überall aufdrängen. Sondern gemeinsam mit Jugendlichen zu schauen, wo wie welche Präsenz wünschenswert ist. Im Sinne einer partizipativen Angebotsentwicklung.

Inwieweit sind erwachsene Positionen Projektionen?

Ein Jugendarbeiter hat nach den Gesprächen mit den Jugendlichen deutlich (sich selbst) die Frage gestellt, inwieweit die verbreiteten Annahmen von Erwachsenen zum Medienhandeln von Jugendlichen und deren Bedürfnissen denn eigentlich Projektionen sind. Für ihn hat sich die Frage zuerst angesichts Themen wie «Cybermobbing» oder «Mediensucht» aufgeworfen. Gerade die Eindrücke zu den beiden oben genannten Aspekten (Gespräche und Präsenz erwünscht) unterstreichen jedoch, wie wichtig für Fachpersonen die Reflexion der eigenen Haltung und der eigenen Vorannahmen sind. Und Gespräche mit Jugendlichen.

KI oder Papagei? Soziale Arbeit nach dem «oh wow!»

Ja, es stimmt: Die neuen Anwendungen so genannter «Künstlicher Intelligenz» sind beeindruckend. Sie lassen sich leicht bedienen und liefern schnell gute Ergebnisse, ohne dass die Bedienung gelernt werden müsste. Ich schreibe meine Fragen und Wünsche in den Chat (ChatGPT) oder beschreibe ein Bild (Dall-E) – und bekomme Texte, Programme, Bilder, vom Computer generiert. Für mich zum ersten Mal werden auch Anwendungen maschinellen Lernens «kreativ» genutzt.

Und, ja, nun kommt ein Aber: Aus meiner Sicht gibt es gute Gründe, wenn mensch dieses Phänomen aus Sicht von Soziokultur bzw. Sozialer Arbeit betrachtet, nach dem ersten «oh wow» kritische, fachliche, pädagogische Überlegungen zu machen – sprich einen professionellen Blick einzunehmen. Denn es ist kompliziert. 🙂

Ich habe selbst in den letzten Wochen eine steile Lernkurve hingelegt auch wenn ich mich schon länger mit so genannter «KI» beschäftige. Mit diesem Artikel möchte ich meine Erkenntnisse teilen und so versuchen, die fachliche Diskussion zu differenzieren.

Ich versuche, die verschiedenen Aspekte durch verschiedene Ebenen auseinanderzuhalten und beginne mit

Ebene 0: Lebenswelt

Wie schon angedeutet: ChatGPT und Dall-E bieten eine riesig verbesserte Usability. In einer einzigen Textzeile kann ich meine Alltagsvorstellungen/Wünsche eingeben und bekomme recht zielgenaue Ergebnisse, die dieser Beschreibung entsprechen. Für die meisten Nutzer:innen ergeben sich so neue Dimensionen: es können leicht komplexe Texte oder Bilder oder gar Programme erstellt werden, auf Fragen kann leicht eine recht differenzierte Antwort gefunden werden (und Nachfragen gestellt). Das ist wohl die grösste Neuerung. Dass ChatGPT Teil einer Suchmaschine werden könnte, scheint logisch. Und das bietet auch Anknüpfungspunkte auf der fachlichen Ebene (s.u.).

Vor allem Dall-E sehe ich auch durchaus als kreatives Tool, mit dem eigene Sichtweisen ausgedrückt werden können. Ich mit meinen begrenzten Malkünsten wollte schon immer mal eine Radarstation im Stil von sowjetischen Arbeiter:innenkunstwerken produzieren:

Auch das birgt wieder Anknüpfungspunkte für fachliche Arbeit (wieder: s.u.).

Ebene 1: Menschenbild

Mein deutlichster Einwand gegen verbreitete Rezeptionen der Tools ist auf der Ebene des Menschenbilds. Die Diskussionen auf Social Media und auch in den meisten Pressebeiträgen folgen der Erzählung der Hersteller:innen von «Künstlicher Intelligenz» und von Transhumanismus, insbesondere dass Computer irgenwann einmal so weiterentwickelt sein könnten, dass sie die menschliche Vernunft und Intelligenz überflügeln.

In einer sehr sehenswerten Folge von «Sternstunde Religion» wird diese Ideologie beschrieben, betrachtet und kritisiert – als von einem vereinfachten und veralteten Menschenbild ausgehend. Die Kritik teile ich. Mir hat das Buch von Thomas Fuchs (2020) tiefgreifende Erkenntnisse gebracht. Er – und auch andere Kritiker:innen des Transhumanismus – kritisieren das dualistische und vereinfachte Menschenbild von einem Verstand in einem Körper. Es gibt (sehr) zahlreiche Belege, dass das anders ist, dass der Mensch auch mit dem Körper denkt und fühlt – und dass Intelligenz, Erinnerung und Persönlichkeit ohne den Körper (bzw. Leiblichkeit als Einheit von Körper und Geist) nicht denkbar sind. Wer die Ausführungen liest, d* wird klar, dass Transhumanismus ein Versprechen ist – das wahrscheinlich auch mit kapitalistischen Logiken zu verstehen ist.

Das sind für mich keine akademischen Fragen, sondern ein grundlegender Aspekt, wenn es darum geht, einen professionellen Blick auf die Angebote zu werfen. Ja, sie sind interessant und praktisch – aber wir müssen nicht danach suchen, ob sie denn nun menschlich sein könnten oder nicht. Das bringt uns zu

Ebene 2: Medienkritik

Bei aller Begeisterung über die leichte Bedienbarkeit wird schnell klar, dass die neuen Anwendungen verbesserte Beispiele für menschliche Simulationen sind, wie sie schon vor gut 50 Jahren mit viel einfacheren Mitteln entwickelt wurden. Es sind Mashups menschlicher Produkte, die diese nachahmen. In einem Beitrag auf Mastodon wurde vorgeschlagen, statt von «künstlicher Intelligenz» von einem «stochastischen Papagei» zu sprechen. Ähnlich wie das Tier ahmen die Computeranwendungen menschliches Verhalten nach, das sie aus den vorhandenen Daten extrahiert haben. Für mich eine gelungene Metapher.

Mit diesen genutzten Daten zeigt sich ein weiterer, im hohen Masse unethischer Aspekt der genannten Anwendungen: Sie wurden mit zahlreichen, frei im Internet verfügbaren, Daten «gefüttert», die ähnlich reproduziert und als eigene Produkte ausgegeben werden. Darunter sind Audioprojekte von Freiwilligen, Kunstwerke von Künstler:innen, die von der im internet publizierten Kunst leben. Hier werden also urheberrechtlich relevante Werke angeeignet und zur Basis eines eigenen Produktes gemacht, mit dem Geld verdient werden soll, während es den Künstler:innen die Existenz bedroht (Artikel der NZZ hierzu).

Und, nicht zu vergessen: Mit den scheinbar neuen Werken werden die bisherigen Daten reproduziert, die gesellschaftliche Schieflagen in sich tragen. Ein schönes Beispiel an für mich unerwarteter Stelle (Deepl):

Ebene 3: Was tun?

Was bleibt (oder: was kommt) also für die Soziokultur und für die Soziale Arbeit? Zunächst einmal die Notwendigkeit (und das ist mein grösstes Anliegen), eine professionelle Haltung zum Phänomen (bzw. den Ausprägungen) einzunehmen, die die verschiedenen Aspekte möglichst berücksichtigt. (Eine ähnliche Forderung findet sich auch in einem Blogbeitrag bei AvenirSocial, wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt). Das dürfte die beste Basis sein, um fachliche Handlungsoptionen und -notwendigkeiten zu identifizieren. Eine Möglichkeit kann der offene Kurs der TH Nürnberg zu so genannter «Künstlicher Intelligenz» in Bezug auf die Soziale Arbeit sein.

Das kann auch eine zusätzliche Grundlage sein, die zu einer generellen Positionierung der Sozialen Arbeit zu «KI» in der fachlichen Arbeit beitragen könnte. Ich finde eine fachliche Diskussion mit der Entwicklung eines Kodexes oder Leitlinien sehr erstrebenswert.

Und im engeren Sinne auf der medienpädagogischen Ebene sind mir zwei Hinweise begegnet bzw. eingefallen:

  • Nele Hirsch weist darauf hin, dass Anwendung wie ChatGPT in der Bildungsarbeit wie ausgefeilte Suchmaschinen verwendet und eingeordnet werden können. Dies bietet einerseits die Möglichkeit, bereits bestehende Materialien und Ansätze übertragen zu können, ausserdem wirkt dies der Mystifizierung so genannter «künstlicher Intelligenz» entgegen.
  • Im Sinne von aktiver Medienarbeit können Anwendungen wie ChatGPT oder Dall-E genutzt werden, um Medienproduktionen zu erstellen (Bildergeschichten, Hörspiele, Videos) und in der Auseinandersetzung mit der Anwendung deren Möglichkeiten und Einschränkungen bewusst gemacht und deren Hintergründe reflektiert werden.

Welche Anknüpfungspunkte, Notwendigkeiten, Fragezeichen, Implikationen sehen Sie für die Soziale Arbeit? Ergänzen Sie gern mit einem Kommentar.

Quellen

Fuchs, Thomas (2020): Verteidigung des Menschen. Grundfragen einer verkörperten Anthropologie. Suhrkamp.

Project Add-ons

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Hello World – hello Blog!

Wir haben uns mit der Gründung des Vereins auf den Weg gemacht, um verschiedene Angebote zu initiieren, die dazu beitragen, dass die Soziokultur den digitalen Wandel und den Digitalität in der Gesellschaft zu «ihren» Themen machen kann. Ganz im Sinne einer Radarstation haben wir uns zum Motto gemacht,

  • zu senden – Angebote zum Austausch, zur Vernetzung; Experimentierräume für neue Ansätze
  • zu empfangen – Fragestellungen, Probleme, Herausforderungen, Potentiale mit denen Soziokulturelle Animation in der Praxis konfrontiert ist
  • zu orten – Trends, Theorien, Forschungen und Diskurse zum Thema Digitalität sowie Entwicklungen in der Gesellschaft
  • und zu verorten – Theorie in der Praxis und dabei gemeinsame, praxisrelevante Lösungen entwickeln und zugänglich machen.

Auf allen vier Ebenen gibt es viel zu lernen. Oder um es anders auszudrücken: Gerade im dynamischen Feld des digitalen Wandels wird (uns) noch bewusster, wie wir ständig lernen während wir uns in der Welt bewegen.

Mit diesem Blog werden wir in nächster Zeit eine zum Klassiker gewordene «neue(re)» Publikationsform zur Wissensentwicklung und zum vernetzten Lernen nutzen: Wir werden Einblicke in Lernschritte, in Recherchen, in Zwischenstände geben, werden auf aktuelle Diskussionen zu bestimmten Themen in unserem Arbeitsfeld eingehen, werden versuchen Diskussionen anzuregen. Und vor allem: Wir werden eher schnell publizieren, an unseren Fragen und Gedanken teilhaben lassen, um einen Austausch zu ermöglichen, aber auch uns selbst Dinge bewusster zu machen.

In diesem Sinne: Hello World!